Kapitel 3 Der Endspurt

Kreta ist unter allen Inseln der Ägäis die Wiege der ältesten Zivilisation; ihre Lage ist herrlich, das Klima mild, abwechslungsreich die Natur: es gibt neben Wäldern und Weideflächen auch gut geschützte und landwirtschaftlich genutzte Täler, wie die fruchtbare Ebene von Messara. Also landwirtschaftlich eine äußerst attraktive Insel, die darüber hinaus ausreichend groß und reich ist an eigenen Rohstoffen, um sich selbst zu erhalten, selbstbewußt und autark, um eine individuelle Kultur und Lebensweise auszubilden, die eigene Originalität zu bewahren. Neben dem Kicker, dem Rolling Stone und der Zweiten Hand wurde nun gelegentlich in Reiseführern oder diesen bebilderten Merian-Heftchen geschmöckert. Würden wir als Bauern im Zitronen~Hain arbeiten? In meinen Gedanken sah ich mich auf einem Esel sitzend  einen schmalen Pfad einen Hang hinauf wackeln. Der Schotterweg führt durch einen schattigen Pinienwald und endet an der Pforte eines Κlosters. Nach kurzem Klopfen öffnen mir 3 Mönche, bitten mich herein und führen mich auf die steinerne Kloster - Terasse, von der aus ein sagenhafter Blick runter auf einen kleinen, verschlafenen Ort mich betört. Aus einem Brunnen gibt es für den Esel und mich glasklares, kühles Wasser. Ein anderes Mal sah ich unsere Frauen an einem Ortsausgang auf einer Steinmauer sitzen, im Schatten einer kleinen, weißen Kapelle. Sie trugen weite, weiße Sommerkleider und verkauften selbergewebte Wandteppiche und feingehäkelte Tischdecken.Da der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle auf Kreta ist, lag es nahe, auch in dieser Richtung "Tag-zuträumen": Eine romantische Bucht mit Eukalyptus-Bäumen und Schilf. Eine Taverne dazwischen mit schattigen Plätzchen, nicht weit entfernt von dem nettesten Ort der Insel. Wir würden im Schichtdienst arbeiten, Arne und  Jenny, Nello und Claudette, Svende und ich,der Infizierte...

Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren. Es gab im Vorfeld einer solch komplexen Unternehmung eine Menge zu beachten und zu erledigen, denn immerhin wollten wir "für immer" nach Kreta und keinen Wochenendausflug realisieren. Es erschien uns sinnvoll, uns ein Grundwissen der griechischen Sprache anzueignen. Wir engagierten über unser Lieblingsblatt eine Studentin, die zweimal wöchentlich zu uns kam und uns unterrichtete. Nie werde ich den ersten kompletten, gelernten Satz vergessen: " Signomi, pu ine i toiletta? Entschuldigung, wo ist die Toilette? Wir hatten beim Lernen unseren Spaß und kamen voran, zumindest würde jeder von uns in der Lage sein, sich in der Landessprache nach dem " stillen Örtchen" zu erkundigen... Regelmässig fanden nun griechische Abende in unserer Wohngemeinschaft statt, schließlich mussten wir sparen. Deshalb wurden Freizeitaktivitäten wie Kneipenbesuche gestrichen, stattdessen karrten wir 2-Literflaschen köstlichen MAVRODAPHNE und SAMOS sowie Unmengen an schwarzen, grünen und braunen Oliven, leckeren Feta sowie Tsatziki vom griechischem Feinkosthändler heran.Was die Aufnahme von Nahrungsmittelprodukten betraf, egal ob flüssig oder fest, waren wir schon halbe Griechen. Mein kulturelles Leben beschränkte sich damals auf das gelegentliche Besuchen eines Punkkonzertes im Kreuzberger-Kiez SO 36. Nun erfuhr ich, dass die Ursprünge der europäischen Kultur dem legendären König Minos zugewiesen werden, der sein Zentrum auf Kreta hatte. Ich fand dies sehr bemerkenswert und beschloß, die Ausgrabungsstätten von Knossos auf jeden Fall einmal zu besuchen.War es ein Zufall, daß  mein damaliges Lieblings-After-shave "Minotaurus" hieß?

Obwohl alles konkreter wurde, erschien mir in manch ruhigen Momenten unser Projekt wunderschön unscharf, verschwommen wie ein impressionistisches Gemälde. Aber es war ja auch ein Riesenbrocken, den wir uns da vorgenommen hatten. "Aufbruch" war unser Motto. Wo man nur hinschaute, war Krieg, von den Falklands über den Mittleren Osten bis nach Südafrika. Die Deutschen verloren bei der WM in Spanien erst im Finale 1-3 gegen Italien und wir waren heißblütig, leidenschaftlich, cool oder wie immer man es nennen möchte. Die einzigsten Zugeständnisse, die wir machten, waren solche an uns selbst. Cocktailpartymentalität lag uns nicht, wir hatten kein spirituelles Anliegen, die Politik war nur ärgerlich. Und jeden Morgen sind wir aufgewacht und wollten sofort loslegen. Nun war es an der Zeit, unsere Arbeitgeber zu informieren. Ein alter, aber rustikaler VW-Bus sollte den angeschafften Anhänger mit unseren  streng limitierten Utensilien ziehen. Ein Crossmotorrad vervollständigte unseren etwas abenteuerlich anmutenden Fuhrpark. Auf dem Dachgepäckträger sollten die Surfbretter befestigt werden. Arne war unser handwerklich versierter Mann für alle Fummelleien während Nello ein grosser Organisator war. Sein Tempo beim organisieren war atemberaubend. Er vermochte ständig mindestens drei Termine fast gleichzeitig einzuhalten. Er sprudelte fast über vor tollen Ideen und mit seiner geistigen Kreativität zog er uns anderen immer wieder mit. Das Wichtigste war, dass wir nicht im Kreis gingen, vielmehr befanden wir uns im Anfang einer Spirale. Wir bauten unsere Vorbereitungen aus. Wir kletterten, die Spirale drehte sich und damit uns nach oben. Oben war für uns unten - auf der Europakarte, ganz weit unten im Süden, da wo die Sonne (fast) immer oben steht...

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